Kristina Müller
· 02.10.2022
Nach Norwegen, Bornholm oder über die Nordsee auf eigenem Kiel – für Segler kleiner Boote ist das ein großes Ding. Drei Crews berichten, wie sie ihren Traumtörn mit dem Kleinkreuzer in die Tat umgesetzt haben
Die Zeit verging viel zu schnell. Nur eine Nacht lag die Varianta 65 „Fliege“ im Hafen Allinge auf Bornholm, dann zwang das Wetter schon wieder zum Aufbruch. Nur eine Nacht und einen Tag konnte Christian Dörges das Gefühl genießen, es endlich geschafft zu haben. Endlich am großen, jahrelang ersehnten Ziel angekommen zu sein. Und dann das: Starkwind im Anmarsch – also Segel hoch und weiter!
Und doch ist er glücklich: „Bornholm auf eigenem Kiel zu erreichen war ein absolutes Highlight“, resümiert der 64-Jährige, der seit zehn Jahren Eigner eines sechseinhalb Meter langen Kleinkreuzers ist. Heimatrevier ist der niedersächsische Salzgittersee, doch im Sommer zieht es den Lehrer im Vorruhestand gemeinsam mit seinem Segelpartner raus aufs Meer. Zum Seesegeln, statt auf dem See zu segeln.
Nicht oft trifft man entlang der hiesigen Küsten auf Kleinkreuzer, mit denen Fahrtensegler wie Christian Dörges größere Törns unternehmen. Und doch gibt es sie öfter, als man denkt, die Skipper, die sich mit ihrem kleinen Boot, das eigentlich für geschützte Gewässer entworfen wurde, in ein größeres Abenteuer stürzen. Wie sie ihre bislang längste Reise vorbereitet und erlebt haben, haben wir daher drei Crews mit Booten zwischen 20 und 25 Fuß gefragt.
Die Idee, einmal auf eigenem Kiel in Bornholm einzulaufen, geisterte schon lange in den Köpfen von Christian Dörges und seinem Freund herum. Schließlich hatten ihre Ostseetörns sie immer weiter geführt: erst rund Fünen –„Das ging gut!“ –, dann nach Samsø – „Ging auch, also wollten wir mehr!“ Die östlichste dänische Insel wird zum Traumziel, doch immer, wenn das Duo das Schiffchen gerade an die Ostsee gebracht hatte, herrschten ausgeprägte Ostwindlagen. „Und bei viel Wind ist das Boot einfach nicht so gut zum Kreuzen geeignet“, weiß der Eigner.
Die Varianta hat ein kleines Zeitfenster. Bei 5 Beaufort muss man schon aufpassen. Das heißt oft: abwarten, bis das Wetter passt
Der Startschuss fällt schließlich spontan, als sich zu Beginn eines zweiwöchigen Ostseetörns ein günstiges Wetterfenster abzeichnet. „Jetzt oder nie“, denkt die Crew und legt schon drei Stunden nach dem Slippen ab. Der Plan ist, Bornholm zu umrunden – egal in welche Richtung. „Es war völlig offen, ob es danach über Schweden und Dänemark oder über Deutschland zurückgeht“, sagt Dörges.
Ähnlich spontan – und insgeheim doch von langer Hand geplant – begann das Kleinkreuzer-Abenteuer von Dirk und Ricarda Gehrke. Im vierwöchigen Sommertörn segelten sie mit ihrer Sunbeam 25 fast 800 Seemeilen von der Elbe nach Norwegen und rund Jütland wieder zurück.
Auch für das Paar aus Wedel war Bornholm lange das ultimative Törnziel. „Aber es hat einfach nie geklappt“, erzählt Dirk Gehrke, „wir waren schon fast ein wenig verzweifelt.“ Eine andere Route, die der Skipper schon lange in Gedanken absegelt, ist die einsame dänische Nordseeküste. Nur um des Segelns willens, von Süd nach Nord. So weit wie möglich immer geradeaus. „Bis man wieder auf Land stößt“, sagt Gehrke und lacht. So zeichnete sich allmählich das Erreichen von Norwegen auf eigenem Kiel als neuer Plan ab. Und danach weiter rund Skagen. Der Rückweg könnte durch den Kleinen oder Großen Belt oder über Kopenhagen führen.
Die Entscheidung für den Rund-Skagen-Versuch fällt schließlich spontan am ersten Törntag auf Höhe Brunsbüttel. Noch querab der Kanaleinfahrt holt Dirk Gehrke den aktuellen Wetterbericht ein. Der verheißt optimale, fast schon zu ruhige Bedingungen. Dem Paar ist es nur recht: „Das Boot ist ja eher ein Binnenboot und segelt sehr rank.“ So bleibt der Kanal achteraus, während der Ebbstrom die Sunbeam die Elbe hinabträgt.
Einen Zwischenstopp will die Crew bis Norwegen möglichst nicht mehr einlegen – und das aus einem ganz bestimmten Grund: Gehrkes wollen sich testen, denn sie planen eine Langfahrt. „Wir wollten herausfinden, ob wir es überhaupt auf einer langen Passage auf engem Raum zusammen aushalten! Wie machen wir das bei Nachtfahrten? Wie kommen wir klar?“, berichtet Dirk Gehrke. „Daher wollten wir das Boot einfach mal laufen lassen und ein paar Tage und Nächte nicht anlegen.“
Der Wunsch nach einer Segelauszeit war auch die Initialzündung für Konstantin Dittrichs großen Kleinkreuzer-Törn. Die Chance kommt: Zwischen dem Abschluss seiner Ausbildung zum Meister für Sanitär- und Heizungstechnik und dem Beginn der ersten Festanstellung hat der 23-Jährige acht Wochen Zeit. Wie schon so oft will er im Sommer zwei Wochen ehrenamtlich als Bootsführer im Wachdienst der DLRG verbringen. Nur soll die Anreise an den Strand von Grömitz nun per Boot erfolgen. 300 Seemeilen über Nordsee, NOK und Ostsee sind das von seinem Heimathafen Balk am IJsselmeer aus – und für seine sechs Meter lange Neptun 20 ein ordentlicher Schlag, zumal es am Ende des Sommers auch wieder retour gehen soll. Ein Freund, der Lust und viel Resturlaub hat, will ihn begleiten.
Anders als bei Gehrkes steht bei Konstantin Dittrich allein der Ankunftshafen fest. Die Route dahin ist, zumindest größtenteils, völlig offen. Spontan plant er jede nächste Etappe, oft ein wenig zu ambitioniert, was in der ein oder anderen Nachtfahrt endet. „Wir haben uns durchaus mit der Taschenlampe im Dunkeln im Ankerfeld einen Platz gesucht“, sagt Dittrich und lacht. „Meist waren wir zu langsam oder der Wind zu schwach.“
Auch Gehrkes Sunbeam 25 segelt auf diesem Törn erstmals mit ihrer Crew durch die Dunkelheit. Trotz des anspruchsvollen Reviers sind beide begeistert und werfen den Wachplan über Bord. „Ich war so fasziniert vom Nachtsegeln, dass ich bis drei oder vier Uhr früh durchgemacht habe“, erzählt Dirk Gehrke.
Drei Tage und zwei Nächte segeln er und seine Frau schließlich immer mit Kurs Nord, queren das Skagerrak und laufen nur 72 Stunden nach Törnbeginn in Kristiansand in Südnorwegen ein – Glück pur! Nicht einem anderen Segler begegnen sie unterwegs. Dafür einem Langstreckenschwimmer und der Berufsschifffahrt auf nervenaufreibenden Kollisionskursen nördlich von Skagen. Dass die dänische Küste meist in Sichtweite ist, vermittelt ihnen Sicherheit.
Wie Christian Dörges auf Bornholm bleibt auch der Sunbeam-Crew nur wenig Zeit, die Ankunft am Ziel ausgiebig zu feiern. Nach einer Nacht fordert der Blick aufs Wetter eine Entscheidung: sofort weitersegeln oder über Tage einwehen – was die ganze Törnplanung in Frage stellen würde. Spontan wird das Boot klargemacht für die nächste Nachtfahrt: diesmal nach Skagen.
Alle drei Crews hatten ihre Boote für die Törns entsprechend ausgerüstet, mitunter über Jahre. Dirk Gehrke hatte seine „Suria“ sechs Jahre zuvor gekauft. Davor hatte sich der ehemalige Gleitschirmflieger das Segeln auf einer Sailfish 18, seinem ersten Boot, auf der Elbe selbst beigebracht. Bald musste ein größeres Boot her, für weitere Törns auf der Ostsee – die Wahl fiel auf die Sunbeam 25. „Die habe ich dann Stück für Stück an meine Bedürfnisse angepasst“, erzählt der 55-jährige Serviceingenieur. Und die hatten es in sich: An Bord kommt Ausrüstung, die sonst eher auf größeren Yachten zu finden ist, wie ein Parasailor, ein AIS-Empfänger, 40 Meter Ankerkette und ein Beiboot. Als der Törn nach Norwegen beginnt, sind die Segel neu, zwei 20-Zoll-Klappräder an Bord sowie Frischwasser für eine Woche. „Alles war auf Stand gebracht worden mit dem Ziel, das Boot fit für einen längeren Törn zu machen.“
Ein fest eingebautes Seefunkgerät haben auch Christian Dörges und Konstantin Dittrich ihren Booten spendiert, um sich auf See nicht auf die geringe Reichweite einer Handfunke verlassen zu müssen. Christian Dörges bereut zudem, nur ein passives AIS angeschafft zu haben und nicht gleich eines, das auch seine Position sendet. „Ich dachte, ich käme dann mit dem Strombedarf nicht hin, aber das stimmt nicht.“ Sein Solarpaneel auf dem Schiebeluk schafft es, den Bordakku auch unterwegs ausreichend zu füllen. Elektronische Seekarten haben alle an Bord, sei es auf dem Smartphone, Tablet oder sogar auf einem eingebauten Kartenplotter.
Ungeachtet der mitunter spartanischen Platzverhältnisse auf dem Kleinkreuzer zelebrieren alle das Sommerleben auf den kleinen Booten. Konstantin Dittrich und sein Mitsegler decken sich noch in Holland mit Getränken für die ganze Tour ein. Frischer Proviant wird vor Ort eingekauft, gekocht auf dem einflammigen Gaskocher unter dem Niedergang. „Meistens One-Pot-Gerichte“, sagt der junge Mann und lacht.
Bevor jedoch das Buchtenbummeln an dänischen Ankerplätzen für die Neptun-20-Crew beginnt, muss sie ihre erste Feuerprobe auf der Nordsee bestehen. „Ich bin etwas blauäugig vom IJsselmeer aufs Watt raus“, erzählt Dittrich, „wir hatten noch nicht einmal einen Gezeitenkalender dabei.“ Intuitiv tasten sie sich ans Wattsegeln heran und lernen dabei den Reiz des Reviers kennen. Schnell wagen sie sich auch aus dem Schatten der Inseln hinaus auf die Nordsee und segeln in langen Schlägen, immer gleich mehrere Inseln passierend, bis zum Nord-Ostsee-Kanal.
Besonders der Ritt von der ostfriesischen Küste quer über Jade-, Weser- und Elbemündung beeindruckt den jungen Skipper schließlich. „Da muss man so weit raus, dass man mit dem kleinen Boot das Gefühl hat, auf dem Ozean zu sein.“ Zwei Meter Welle und Rückenwind lassen die Neptun regelrecht in die Elbe hineinsurfen. Dittrich will reffen – „aber die Welle war zu heavy“, sagt er. Also rauschen sie mit Vollzeug durch bis Cuxhaven und weiter bis zum Nord-Ostsee-Kanal.
Auf der Nordsee hatte ich das Gefühl, mit dem kleinen Boot auf einem großen Ozean zu sein
Den Tagesmarsch über das Nadelöhr zur Ostsee wollen sie dem Außenborder nicht zumuten und sich von einer größeren Yacht ziehen lassen. In Schlepp nimmt sie schließlich eine befreundete Crew mit einem kaum größeren siebeneinhalb Meter Boot – aber immerhin mit Einbaudiesel.
Die Grenzen seines Bootes werden dem jungen Skipper vor allem aber auf dem Rückweg aufgezeigt. Als er Mitte August wieder in den Nord-Ostsee-Kanal einläuft, um ihn wenig später nach Westen zu verlassen, versperrt ein Tiefdruckgebiet den Rückweg. Es wird Herbst. „Also habe ich beschlossen, erst mal über die Eider bis zur Nordsee zu fahren und dann über Helgoland zurück.“ Doch als Dittrich, wieder mit einem Freund an Bord, bei Tönning die Küste erreicht, orgelt es dort noch immer mit sechs bis acht Windstärken aus West. Sie riskieren es dennoch, fahren unter Segeln und Motor raus, drehen aber um, da der Außenborder streikt. In Tönning wird der Törn beendet, und Dittrich zieht den Trailerboot-Joker: Ein Anruf in der Heimat, und sein Vater bringt den Anhänger zum Boot.
Dass das Limit auf dem Kleinkreuzer schnell erreicht ist, erlebt auch Dirk Gehrke auf seinem Nordseeschlag. „Auf dem Weg nach Norwegen waren die Wellen an einem der Tage so hoch, dass wir nicht mehr kochen und kaum aufs Klo konnten. Das war anstrengend, und ich bin sicher, drei Tage segeln am Stück sind das Maximum mit diesem Boot.“
Gehrke weiß aber auch, was er dem Boot zumuten kann, nachdem er einmal in sechs bis sieben Windstärken und dreieinhalb Meter Welle geraten war. „Das brauche ich nicht noch einmal! Aber darüber hinaus habe ich Urvertrauen in das Boot.“ Gestärkt wird das auf dem Törnabschnitt von Skagen nach Süden: Starker Wind aus West bis Südwest bedeutet Amwind-Gebolze und lässt die Crew kürzere Etappen zurücklegen. Dennoch sind Gehrkes ihrem Zeitplan stets drei bis vier Tage voraus und beginnen gegen Ende sogar zu bummeln.
Auch Christian Dörges ist vorsichtig. „Die Varianta hat ein sehr kleines Zeitfenster. Bei 5 Beaufort muss man schon aufpassen. Das heißt oft: abwarten, bis das Wetter passt.“ Er schätzt daher, sein Boot theoretisch notfalls auf dem Trailer zurückholen zu können – auch wenn sein Ziel eigentlich ist, alles aus eigener Kraft unter Segeln zu schaffen. Dann nämlich seien, wie bei der Ankunft auf Bornholm, erstaunte Blicke garantiert, wenn die knallrote „Fliege“ mal wieder als kleinstes Boot im Hafen einläuft.
Die Reise war ein Highlight! Wir haben jetzt noch ein Leuchten in den Augen, wenn wir daran denken
Außerdem: So einfach es auch immer wirke – das Boot auf dem Trailer mit in den Urlaub zu nehmen sei stets mit einem nicht zu unterschätzenden Aufwand verbunden. Das sieht auch Dirk Gehrke so, der sein früheres 18-Fuß-Boot sogar am Haken mit zum Törn in die ostschwedischen Schären genommen hat. Die Flexibilität sei zwar groß, der Aufwand aber eben auch.
Christian Dörges schätzt am Trailern daher besonders, dass er das Boot im Winter mit nach Hause nehmen und dort für kleines Geld auf das nächste Segelabenteuer vorbereiten kann.
Stichwort Abenteuer: War der lang geplante Törn nach Bornholm denn nun wirklich so besonders wie erhofft? „Auf jeden Fall!“, so der Skipper. „Es war der längste und schönste Törn bisher und das lange Warten wert!“
Ricarda und Dirk Gehrke stimmen zu. „Diese Reise war ein absolutes Highlight! Es gab nur Superlative. Wir haben jetzt noch ein Leuchten in den Augen, wenn wir daran denken.“ Für sie war der Törn zudem die Bestätigung, ihren Langfahrttraum weiterhin zu verfolgen.
Selbst Konstantin Dittrich, der früher als geplant abbrechen musste, ist rundum zufrieden: „Es war ein mega Abenteuer, und ich würde es sofort wieder machen. Ich habe dabei sehr viel Erfahrung als Skipper gesammelt.“
Allerdings würde er beim nächsten Mal auch einiges anders angehen – etwa nicht noch einmal ohne fest eingebauten Kartenplotter als Redundanz zum Smartphone losfahren. Und vor allem auch die Großwetterlage länger im Vorfeld beobachten, um nicht noch einmal gegen Ende des Törns in einer Wetterfalle zu landen.
Dass es wieder losgeht, steht für alle fest: Dirk und Ricarda Gehrke wagen nach dem bestandenen Kleinkreuzer-Abenteuer mit einer Blauwasseryacht die richtig große Fahrt. Konstantin Dittrich will mit mehr Zeit zu den Nordseeinseln ins Wattenmeer. Und Christian Dörges’ neues Traumziel heißt Öland, vielleicht auch Gotland – von Deutschland aus auf eigenem Kiel.
Er weiß, dass es vielleicht wieder einige Jahre dauern wird, bis er es schafft – doch auch, dass sich das Warten auf das nächste große Abenteuer im kleinen Boot ganz sicher lohnen wird.
Jahrelang ist die Insel das Traumziel von Christian Dörges. Als das Wetterfenster endlich passt, geht es los
Das kommt sehr auf das Wetter an, man braucht ein gutes Wetterfenster. Wir hatten 14 Tage Zeit.
Ja, auf Bornholm überhaupt anzukommen!
Unser Hand-GPS Garmin 60CSx! Mittlerweile haben wir sogar zwei davon: eines an Backbord, eines an Steuerbord befestigt. Das lieben wir innig und würden es auch auf ein größeres Boot mitnehmen.
Konstantin Dittrich hat sechs Wochen Zeit. Sein Plan: möglichst viel segeln. Wendepunkt ist Grömitz
Ich hatte schon recht viel, dennoch würde ich beim nächsten Mal noch mehr einplanen. Vor allem lieber zwei Wochen für die Strecke von Balk zum NOK statt nur einer.
Ja, einer der Segeltage in Dänemark: mit Mittagessen am Strand und Schweinswalen auf dem Wasser.
Definitiv der Pinnenpilot. Vor allem, wenn ich Strecken allein gesegelt bin.
Dirk und Ricarda Gehrke haben Langfahrtpläne – ihre Seebeine testen sie beim großen Törn auf dem Kleinkreuzer
Mindestens drei Wochen, am besten mit etwas Luft. Kürzer wird schwierig. Wir hatten vier Wochen Zeit und konnten am Ende bummeln.
Der lange Schlag hoch nach Norwegen. Das war Segeln pur!
Wir haben gleich mehrere: der Omnia-Backaufsatz, der Pinnenpilot und der Parasailor.