Tatjana Pokorny
· 18.01.2023
Zwei Tage vor dem Start ins 14. Ocean Race hatte „Biotherm“-Skipper Paul Meilhat noch nie mit seinem ganzen Team für den Meeres-Marathon trainiert. Warum mit dem 39-jährigen Ex-49er-Steuermann und seiner Crew dennoch zu rechnen ist…
Paul Meilhat hat das Regattasegeln klassisch im Optimisten gelernt. Olympisch hat er sich im Laser und im 49er getestet, bevor er in der französischen Figaro-Schule seine Seesegel-Bestimmung fand. 2017 begann sein Aufstieg in der Imoca-Königsliga der Solo- und Zweihandsegler. Heute zählt der 39-Jährige zu Frankreichs Größen der Offshore-Segelwelt und feiert aktuell mit der neuen “Biotherm” Premiere im 14. The Ocean Race.
Drei Tage nach dem Start der ersten Etappe von Alicante zu den Kapverden lag das Team am 18. Januar morgens auf Rang vier hinter Boris Herrmanns Team Malizia. Spitzenreiterin war weiter Kevin Escoffiers Schweizer Team Holcim – PRB.
Ins Mannschaftsrennen um die Welt startete Paul Meilhat am 15. Januar mit dem jüngsten Boot der Flotte und einer handverlesenen Elite-Crew, die erst zwei Tage vor dem Start erstmals gemeinsam auf der blau-weißen „Biotherm“ agierte. Vergleicht man das mit der rund dreijährigen Vorbereitungszeit von Charlie Enrights Team 11th Hour Racing, ist die Diskrepanz enorm.
Der Skipper aus La Garenne-Colombes in der Region Île-de-France hat mit seiner Mitstreiterin Sam Davies bereits ein Transat Jacques Vabre gemeinsam absolviert. Beide kennen und schätzen sich.
Meilhats weitere, wie in allen anderen Ocean-Race-Teams teilweise rotierenden Crew-Mitglieder sind die 28-jährige Mini- und Class-40-Steuerfrau Amélie Grassi, die bei der letzten Route du Rhum als einzige Solistin in der Führungsgruppe lag, als der Mast ihrer Class 40 „La Boulangère Bio“ brach. Dazu kommen im französisch geprägten Team Paralympics-Sieger und Vendée-Globe-Skipper Damien Seguin und Allrounder Anthony Marchand. Als Anbord-Reporter wechseln sich Minghao Zhang und Anne Beaugé ab.
Paul, Du hast gesagt, dass das Ocean Race ist ein großer Traum für Dich ist. Warum fasziniert es Dich so sehr?
Weil ich dieses tolle Boot gerne mit einer Crew segeln möchte. Für mich ist das Ocean Race die DNA des Seesegelns. Es ist wichtig für uns, die Welt zu entdecken, Zeit in verschiedenen Ländern zu verbringen und unsere Boote zu zeigen.
Deine neue Imoca ist ein Schwesterschiff von Charlie Dalins „Apivia“, ein bei Persico gebautes Verdier-Design und das jüngste Boot der aktuellen Ocean-Race-Flotte. Es wurde erst im September vom Stapel gelassen. Seid Ihr schon bereit für einen Meeres-Marathon wie das Ocean Race?
Wir waren beim Start nicht voll bereit und sind ein ziemlich neues Team. Deswegen habe ich Leute ins Team geholt, die das Boot auch ohne Training segeln können. Es sind alles autonome Segler, die eine Imoca auch alleine segeln können. Ich wollte Leute an Bord haben, die die Philosophie des Projekts teilen.
Ich habe versucht, eine Kombination aus Energie, Freude und Fachwissen im Gleichgewicht herzustellen. Ich musste aber auch pragmatisch sein, weil uns die Zeit zur Vorbereitung fehlte. Deshalb musste ich mich mit Leuten umgeben, die bereits erstklassige Kandidaten sind und bei denen ich mir zu 100 Prozent sicher bin, dass es klappen wird. Wichtig ist uns bei dieser großen Herausforderung auch, dass wir Spaß zusammen haben. Alle haben sich auf das Rennen gefreut!
Ihr werdet das Boot also während des Rennens als Team weiterentwickeln?
Exakt. Wir haben Leute an Bord, die das Boot ohne Training segeln können. Aber für das Ocean Race gilt: Wir werden lernen, lernen, lernen. Wenn du dabei nicht alleine bist wie bei einer Vendée Globe, geht das sehr viel leichter. Es sind rund 110 Segeltage, in denen wir niemals alleine im Cockpit sind, also immer über alles reden können.
Was zählt mehr: Die lange Vorbereitung wie die der Amerikaner oder die Imoca-Erfahrung in Eurem Team?
Charlies Team hat viel Ocean-Race-Erfahrung. Sie haben sich intensiv auf dieses Rennen vorbereitet. Aber in unserer Crew haben wir viele, viele tausend Meilen Erfahrung mit Imocas. Ich denke, das wird wichtig sein."
Euer Boot wirkt wie die Puristin der Flotte, ist schlicht und schön anzuschauen. Das Gewicht willst Du aber nicht verraten?
Nein. Aber ich kann sagen, dass es eines der leichteren Boote der Flotte ist. Wenn man sich ‚Malizia‘ anschaut, dann müsste man zwei ‚Biotherms‘ bauen, um eine Malizia zu bekommen… (lächelt).
Dafür habt Ihr auch nicht den Komfort der Stehhöhe, die das Boot von Boris hat, der die Klassenregeln auf andere Weise und mit anderen Zielen interpretiert hat…
Wir haben im Inneren eine Höhe von 1,45 Metern, so dass man die meiste Zeit herumkrabbeln muss. Es gibt nur eine kleine Stelle im Boot, an der man aufrecht stehen kann. Weniger als einen Quadratmeter. Es war eine Entscheidung, ein leichtes Boot zu bauen und deswegen alles knapp zu halten. Das Aufrichtmoment ist bei einer IMOCA sehr wichtig, und es ist viel besser, den Schwerpunkt niedrig zu halten. Ich bin glücklich mit meiner Wahl.
Wie ist das Ocean Race in der Segelwelt positioniert?
Das Ocean Race ist eines der größten Events der internationalen Sportwelt. Während ein Rennen wie die Route du Rhum in Frankreich eher eine Art Massenevent ist, hat das Ocean Race viel Klasse. Und aufgrund des Mannschaftscharakters kannst du es mit anderen teilen. Ich vertraue meiner Crew total. Nur ist für mich dabei ein ganz neuer Druck, eine neue Verantwortung entstanden: Ich muss sie alle heil und lebendig nach Hause bringen.
Wie würdest Du Euer Projekt, Eure „Biotherm“-Kampagne beschreiben?
Das Projekt ist wie ein Spiegel von mir. Das bin ich. Es ist mein Leben.
Glaubst Du, dass die bei dieser Auflage historisch kleinste Ocean-Race-Flotte nach dem Umstieg auf die Imoca-Klasse in Zukunft wieder wachsen wird?
Ich bin sicher, dass wir nächstes Mal 15 bis 20 Boote an der Startlinie sehen können. Ich kriege jeden Tag viele Nachrichten aus Frankreich. Sie sind alle eifersüchtig auf das, was wir hier gerade tun.