Prognose 2023Sind die fetten Jahre im Segelsport vorbei?

Johannes Erdmann

, Andreas Fritsch

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, Morten Strauch

 · 05.01.2023

Die Produktion der großen Serienyachtwerften läuft auf vollen Touren. Daran wird sich 2023 noch wenig ändern | YACHT/J. Rieker

Trotz wirtschaftlich schwerer Zeiten steht die Bootsbranche aktuell gut da. Doch wie lange noch? Und wen trifft es zuerst, wenn die Rezession voll einsetzt? Ein Ausblick

Die Auftragsbücher der Werften sind voll, viele Häfen in Nord und Süd haben keinen freien Liegeplatz mehr, und die Charterbranche registriert eine ungebrochen hohe Nachfrage nach Urlaubstörns. Und das in einer Zeit, in der alle Welt sorgenvoll auf immer weiter steigende Preise schaut und über dringend notwendige Sparmaßnahmen diskutiert. Die Bootsbranche, so scheint es, kriegt von der aktuellen Wirtschaftskrise nicht viel ab. Doch das könnte sich bald ändern.

Wie berichtet, hatte Anfang November der Bundesverband Wassersportwirtschaft seine jüngste Umfrage veröffentlicht, in der die Mitgliedsunternehmen ihre Einschätzung fürs kommende Jahr abgeben sollten: Demnach beurteilen viele Firmenchefs ihre Geschäftsaussichten für 2023 skeptisch.

Grund genug, genauer nachzufragen, wie die verschiedenen Bereiche des Yachtmarkts nach dem Corona-bedingten Boom auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet sind.

Anhaltende Segelbegeisterung

Der Deutsche Segler-Verband (DSV) zeichnet trotz der angespannten Lage ein positives Stimmungsbild in der Seglerschaft. Christiane Perlewitz, Leiterin der DSV-Öffentlichkeitsarbeit, teilt mit: „Wir haben weiterhin einen erfreulich guten Zulauf. So ist zwar die Zahl der Vereine in den letzten Jahren geringfügig zurückgegangen, im Gegenzug ist aber die Gesamtzahl der Mitglieder in den Vereinen gewachsen.“

Auch die Zahl der Segelschüler, die eine Sportbootführerschein-Prüfung absolviert haben, gebe wenig Anlass zur Sorge. Im Gegenteil. Perlewitz: „Tatsächlich ist die Zahl der in diesem Jahr bis einschließlich September von uns erteilten Bootsführerscheine niedriger als die aus demselben Vorjahreszeitraum. Dennoch liegt sie deutlich über der von 2019. Und möglicherweise ändert sich das Ergebnis noch in der Gesamtjahresbetrachtung, wenn die letzten drei Monate besonders stark nachgefragt worden sein sollten.“

Klaus Schlösser von der Segelschule bootsausbildung.com in Bremen bestätigt: „Die künstliche Welle der letzten zwei Jahre ist vorbei, aber das war abzusehen. 2020 und 2021 waren grandiose Jahre und sind unübertroffen. Zu erwarten ist nun eigentlich, dass das kommende Jahr von weniger Nachfrage geprägt ist als 2019 vor Corona, da viele Leute, die während der Pandemie zu uns gekommen sind, schon immer mal einen Sportbootführerschein machen wollten und auf einmal die Zeit dazu hatten.“

Nun schwebe eher das Damoklesschwert der Rezession über der Branche – wobei nach wie vor fleißig Führerscheine gemacht würden, so Schlösser. „Zu unseren Kunden gehört halt eher eine Klientel, die kaufkräftiger ist als der Bundesdurchschnitt. Noch hat von denen beispielsweise niemand gesagt, dass er seine Urlaubspläne für 2023 ändert.“ Und: Bootsführerscheine seien offenbar losgekoppelt von der Wirtschaftslage. Schlösser:

Bootsführerscheine werden immer gemacht. Auch von der Bankenkrise 2008/09 haben wir nichts gemerkt. Meine Stimmung für das nächste Jahr ist daher verhalten positiv.“

Gut gebuchtes Neubootgeschäft

Auch bei den kleinen und großen Serienwerften ist die Situation bislang offenbar entspannt. Hanseyachts-Gesamtvertriebsleiter Maxim Neumann berichtet, dass das Neubootgeschäft der Greifswalder ungebrochen gut laufe, die Lieferfristen allerdings aufgrund der Nachfrage lang seien. Wer heute ein neues Schiff bestelle, müsse sich bis Mitte 2024 gedulden. Das Geschäft mit den großen Modellen ab etwa 50 Fuß laufe geradezu „bombig“, so Neumann, und auch das ab 43 Fuß Bootslänge sei gut. Lediglich der Absatz kleinerer Boote sei weniger zufriedenstellend. Bei Bavaria heißt es: „Der Auftragseingang ist nach wie vor auf einem hohen Niveau, die Kunden lassen sich aber etwas mehr Zeit mit ihrer Entscheidung, ähnlich wie vor der Pandemie.“

Bei der Mittelmann’s Werft in Kappeln, wo man mit J-Boats sowie mit gebrauchten Yachten handelt und ein großes Winterlager betreibt, sei ebenfalls kein Abschwung in Sicht. In allen Bereichen sei nach wie vor „viel los“, heißt es an der Schlei.

Doch man sehe die Situation durchaus realistisch: Die Lage könne sich jederzeit ändern, wenn die hohen Energiekosten und die Inflation durchschlagen. Dann werde es sicherlich Menschen geben, die sich einen Bootskauf nicht mehr leisten können oder wollen. Auf dem Gebrauchtbootmarkt dürfte sich das als Erstes bemerkbar machen – in Form eines steigenden Bootsangebots. Anderen, die wirtschaftlich besser aufgestellt sind, würden hingegen auch die höheren Preise egal sein, glaubt man bei Mittelmann’s.

Beim Flensburger Yacht-Service, Händler unter anderem für Hanse und Moody, ist man hingegen skeptischer, was die Zukunft angeht: „2022 lief super, 2023 wird der Absatz jedoch schon etwas geringer ausfallen“, prognostiziert Vertriebsmitarbeiter Ilja Marady und fügt hinzu: „Für 2024 erwarten wir dann einen deutlichen Absatzrückgang.“ Seit Kriegsbeginn in der Ukraine sei das Geschäft „extrem schwierig“ geworden. „Viele Kunden haben kurz vor der Unterschrift zurückgezogen, besonders Mittelständler, die ihr Geld lieber in der Firma lassen wollen.“ Das Interesse an Booten sei aber weiterhin vorhanden. „Die Leute warten jedoch, bis sich die Lage hoffentlich bald wieder entspannt. Gründe für die einsetzende Kaufzurückhaltung seien zudem neben den stark gestiegenen Neubootpreisen auch die teils langen Lieferzeiten der Werften.

Deutlich zuversichtlicher schaut man bei Elan Yachts nach vorn.

Unser Auftragsbestand befindet sich auf einem Rekordhoch, was bedeutet, dass die meisten Modelle bis Herbst 2024 ausverkauft sind.“ CEO Marko Skrbin

Der aktuellen Lieferengpässe bei Zubehörteilen fechten die Slowenen gleichfalls wenig an. Die Produktion laufe auf Hochtouren, alle Boote würden pünktlich geliefert.

„Die Nachfrage insbesondere nach unseren Segelbooten ist in den letzten zwei Jahren ziemlich stabil. Bestimmt gibt es zwar Kunden, die mit ihrer Kaufentscheidung aufgrund der jüngsten negativen Wirtschaftsprognosen warten. Zugleich registrieren wir aus ähnlichen Gründen, vor allem aus Sorge vor kommenden Preissteigerungen, jetzt immer noch eine starke Nachfrage. Und das sowohl von Privatleuten wie auch von Charterinvestoren“, so Skrbin.

Gefragter Chartermarkt

Der von ihm letztgenannte Aspekt verwundert nicht, der Chartermarkt scheint in guter Verfassung. Bei Sarres-Schockemöhle Yachting etwa berichtet man von gut laufenden Geschäften. Claudia Spennes-Kleutges sagt: „Charterreviere wie Kroatien, Griechenland und zum Teil auch Italien sind nach wie vor gefragt. Nur wenige Kunden – meist Familiencrews oder Selbstständige – buchen etwas zögerlicher.“ Da wolle der ein oder andere erst schauen, wie das Jahr infolge von Inflation und Energiepreisexplosion ende. „Wenn alles nicht so schlimm wird, wollen diese Kunden dann im Frühjahr ihren Chartertörn buchen“, so Spennes-Kleutges. Auch andere Anbieter wie etwa 1. Klasse Yachtcharter sind optimistisch und rechnen 2023 mit einem ähnlich erfolgreichen Geschäftsjahr wie 2021 und 2022.

Sowohl in der Marina Sonwik in der Flensburger Förde als auch in der Marina Neuhof am Strelasund ist die Zahl der Gastlieger zuletzt hingegen ein wenig gesunken. „Unter anderem kamen weniger Chartercrews zu uns“, berichtet der Sonwiker Hafenmeister Frank Volkmann. Demgegenüber sei die Nachfrage nach einem Dauerliegeplatz ungebrochen groß. „Auf unserer Warteliste stehen weiterhin 300 Namen, insofern besteht da kaum ein Unterschied zum Corona-Boomjahr 2021.“ Gleiches gelte für die Marina Neuhof oder auch für die an der Flensburger Förde auf dänischer Seite gelegene Marina Minde, wie deren Betreiber mitteilen.

Lediglich in Heiligenhafen hat sich die Lage in Bezug auf die Wartezeiten nach einem freien Dauerliegeplatz ein wenig entspannt. Hafenmeister Arne Bennewitz sagt: „Etwa die Hälfte der Leute, die auf der Warteliste standen, ist abgesprungen. Das waren in den Jahren zuvor stets weniger.“ Und auch hier hätten nicht mehr ganz so viele Gastcrews festgemacht.

Von Krisenstimmung könne man jedoch nicht sprechen. Bennewitz:

Es werden weder mehr Liegeplätze gekündigt, noch mehr Boote verkauft als in früheren Jahren.“

Noch weniger ist von den weltweiten Wirtschaftsproblemen in den Mittelmeer-Marinas zu spüren. Zacharias G. Kiaffas von der Marina Porto Heli in Griechenland sagt, die Buchungszahlen würden sogar stark steigen: „Wir verzeichnen aktuell eine um 40 Prozent größere Nachfrage nach Liegeplatzverträgen als im vergangenen Jahr.“ Er schränkt allerdings ein: „Während die Eigner größerer Yachten ihre Schiffe im Hafen lassen, sieht es derzeit so aus, als würden die Besitzer von trailerbaren Booten im kommenden Jahr etwas später als sonst in die Saison starten.“

Das betreffe in erster Linie aber nicht die Segler, sondern die Besitzer von kleineren Motorbooten. Kiaffas: „Für diese Bootsfahrer spielen sicherlich die gestiegenen Treibstoffkosten eine Rolle.“

Auch in der Marina Capo Nord in Aprilia Marittima an der nördlichen Adria sei während der Hochzeit der Pandemie die Nachfrage nach Liegeplätzen stark gestiegen. Vor allem die eigenen Landsleute hätten sich einen Platz in einem italienischen Hafen sichern wollen. Da habe wohl die Angst vor weiteren Einreisebeschränkungen in anderen Ländern den Ausschlag gegeben. Ähnliches habe man ja auch in Deutschland im Verlauf des zweiten Corona-Jahres beobachten können.

Von einem deutlichen Abschwung kann aktuell bislang also weder in den Häfen in Nord und Süd noch generell in der Bootsbranche die Rede sein. Ob das so bleibt, wird sich gegebenenfalls schon in wenigen Tagen zeigen, wenn die boot in Düsseldorf ihre Tore öffnet. Die weltgrößte Wassersportausstellung an Land war in der Vergangenheit stets ein verlässlicher Indikator für die Kauflaune der Kunden und damit für die Geschäftsaussichten der Werften, Händler, Ausrüster und Charteranbieter.


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